Chiwa - Hasan Murad Qushbegi Moschee
Die Hasan-Murad-Qushbegi-Moschee in Chiwa – Sakralarchitektur zwischen Funktionalität, spiritueller Askese und höfischer Repräsentation
Im dichten urbanen Gewebe von Ichan-Qala, der historischen Altstadt von Chiwa, erhebt sich die Hasan-Murad-Qushbegi-Moschee als ein bemerkenswertes Zeugnis spätfeudaler islamischer Architektur. Erbaut im Jahr 1800, fügt sich dieser architektonisch klar gegliederte Bau harmonisch in das städtebauliche Ensemble religiöser und bildungsbezogener Einrichtungen ein. Sie befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Musa-Tura-Medrese und gegenüber der Amir-Tura-Medrese, was ihre Einbindung in ein Netzwerk bedeutender religiöser Institutionen des späten Khanats von Chiwa unterstreicht.
Errichtet wurde die Moschee auf Initiative von Hasan Murad Qushbegi, dem damaligen Qushbegi, also dem Oberhaupt der Leibwache des Khans – ein Amt, das nicht nur militärische, sondern auch administrative und repräsentative Aufgaben umfasste. Unterstützt wurde er bei diesem Bauprojekt von seinem Verwandten Shah Niyaz, der jedoch in der Namensgebung keine Erwähnung fand. Diese Auslassung verweist nicht nur auf die herausgehobene soziale Stellung Hasan Murads, sondern auch auf seine dominierende Rolle bei der Stiftung und Realisierung dieses religiösen Komplexes. Die Moschee ist damit zugleich Ausdruck individueller Frömmigkeit, persönlicher Repräsentation und institutioneller Machtausübung innerhalb des höfischen Systems von Chiwa.
Funktionale Klarheit und spirituelle Konzentration
Die architektonische Gestaltung der Hasan-Murad-Qushbegi-Moschee folgt einer sachlich-funktionalen Grundstruktur, die sich in ihrer zurückhaltenden Formensprache deutlich von den stärker ornamentierten Sakralbauten der Hauptstadt unterscheidet. Der rechteckige Grundriss des Ensembles gliedert sich in mehrere funktional voneinander getrennte, aber räumlich miteinander verbundene Einheiten:
- Sommermoschee (offen und lichtdurchflutet, mit Aiwan)
- Wintermoschee (geschlossen und wärmeisolierend)
- Zwei Khanaka-Räume, d. h. Meditations- und Versammlungssäle
- Wohntrakte im Nordtrakt, vermutlich für Imame, Gäste oder Derwische
- Ein innenliegendes Minarett zur liturgischen Nutzung
Besonders charakteristisch ist der zur südlichen Seite hin geöffnete Aiwan, der von schlanken, kunstvoll gearbeiteten Holzsäulen getragen wird. Diese dienten nicht nur als architektonisches Gestaltungselement, sondern erfüllten eine wichtige klimatische Funktion, indem sie den Vorraum beschatteten und kühl hielten. Die Wahl dieses klassischen Aiwan-Typs reflektiert die lange Tradition offener Gebetsräume in der Architektur Zentralasiens.
Die Khanaka – spirituelle Rückzugsorte
Die beiden überkuppelten Khanaka, die sich direkt an die Gebetshallen anschließen, deuten auf eine spezielle Nutzung durch Sufis oder religiöse Gelehrte hin. Diese Räume dienten nicht nur als Orte kontemplativer Einkehr, sondern auch als Räume für gemeinsame Rezitation, geistige Unterweisung oder Zeremonien des Dhikr – der rituellen Gottesanrufung. Damit erweist sich die Moschee als multifunktionales religiöses Zentrum, das sowohl den kollektiven Freitagsgebeten als auch der spirituellen Schulung und Askese Raum bot.
Innenliegendes Minarett – Ausdruck städtebaulicher Pragmatik
Ein bemerkenswertes Detail ist das in der nordöstlichen Ecke integrierte Minarett, das im Inneren des Gebäudekomplexes positioniert wurde. Im Kontext der engen Bebauung von Ichan-Qala war dies eine pragmatische Lösung, da freistehende Minarette im dicht bebauten historischen Kern oft keinen ausreichenden Platz fanden. Das Minarett selbst ist von zurückhaltender Eleganz: schlicht im Dekor, jedoch ausgewogen in Proportion und gestalterischer Einbindung, sodass es sich harmonisch in den Gesamtbaukörper einfügt.
Reduzierte Ästhetik und symbolische Farbgestaltung
Die äußere Erscheinung der Moschee ist bewusst zurückhaltend: Der gesamte Bau ist mit unglasierten Lehmziegeln verkleidet, ohne figürliche Dekore oder glasierte Kacheln – ein Gestaltungsprinzip, das auf eine Haltung der asketischen Schlichtheit verweist, wie sie in sufisch geprägten Religionsgemeinschaften Zentralasiens vielfach zu finden ist.
Im Innenraum setzt sich diese Schlichtheit fort, allerdings mit einer seltenen Farbkomposition, die der Moschee ihre individuelle Note verleiht: Wände und Decken sind in Rot-, Schwarz-, Weiß- und Blautönen gefasst – eine Kombination, die nur selten und mit möglicherweise symbolischer Bedeutung in zentralasiatischen Sakralbauten erscheint. So könnten etwa:
- Rot für Lebenskraft oder göttliche Liebe,
- Schwarz für geistige Tiefe und Ernsthaftigkeit,
- Weiß für Reinheit,
- Blau für das Unendliche, Göttliche oder den Himmel stehen.
Auch wenn schriftliche Quellen zu konkreten Interpretationen fehlen, ist die Wahl dieser Farben höchstwahrscheinlich bewusst und kultisch motiviert und verweist auf ältere lokale Traditionen, die möglicherweise mündlich überliefert wurden.
Restaurierung und kulturelle Bedeutung
Die umfassende Restaurierung im Jahr 1997 erfolgte unter größter Sorgfalt und unter der Maßgabe, traditionelle Techniken und Materialien zu verwenden. Dabei wurde insbesondere auf die Erhaltung der ursprünglichen Raumaufteilung und Farbgestaltung geachtet. Die Restauratoren strebten eine möglichst authentische Wiederherstellung an – nicht nur aus denkmalpflegerischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf die Weitergabe handwerklicher Fertigkeiten und religiöser Baukultur an zukünftige Generationen.
Heute präsentiert sich die Hasan-Murad-Qushbegi-Moschee als mustergültiges Beispiel für spätfeudale Sakralarchitektur in Zentralasien. Sie steht stellvertretend für eine Epoche, in der sich religiöse Bescheidenheit mit repräsentativen Funktionen höfischer Auftraggeber verband. Ihre Einbettung in das dichte Gefüge von Ichan-Qala verleiht ihr zusätzliche Relevanz: Als Bestandteil eines Ensembles, das Madrasa, Moschee, Khanaka und Minarett in unmittelbarer Nachbarschaft vereint, demonstriert sie das städtische Konzept der funktionalen und spirituellen Vernetzung islamischer Institutionen im 18. und 19. Jahrhundert.