Chiwa - Karawanserei Allakulikhan
Die Karawanserei Allakulikhan in Chiwa und ihr Basarensemble – Handelsarchitektur und wirtschaftliches Machtzentrum
Im pulsierenden Zentrum der Altstadt von Chiwa, der Ichan Qal‘a, erhebt sich ein monumentales Ensemble aus Karawanserei, überdachtem Basar und angeschlossenem Saray, das als einzigartiges Zeugnis islamischer Handelsarchitektur in Zentralasien gilt: die Karawanserei Allakulikhan. Ihr Bau steht exemplarisch für das wirtschaftliche Aufblühen des Chiwa-Khanats im 19. Jahrhundert und dokumentiert eindrucksvoll die kluge Verschmelzung von städtebaulicher Planung, ökonomischer Funktionalität und repräsentativer Architektur. In ihrer räumlichen Organisation, historischen Bedeutung und kulturellen Tiefendimension stellt diese Anlage ein Schlüsselwerk der chorezmischen Baukultur dar – bis heute ist sie die einzige vollständig erhaltene Karawanserei des ehemaligen Khanats Chiwa.
Historischer Ursprung: Vom Stadttor zum Handelszentrum
Die Keimzelle dieser Anlage bildete eine überkuppelte Galerie mit zahlreichen Handelsräumen, die im Jahr 1806 unmittelbar am Palvan-Darvaza-Tor errichtet wurde – einem der Hauptzugänge zur ummauerten Altstadt und zugleich Knotenpunkt einer der bedeutendsten innerstädtischen Handelsachsen. Dieses erste Bauwerk legte den Grundstein für die spätere Karawanserei Allakulikhan, die ihren Namen dem Khan Allakuli (reg. 1825–1842) verdankt – einem der wirtschaftlich und kulturell aktivsten Herrscher des späten Khanats.
Während seiner Regierungszeit intensivierten sich die Handelsbeziehungen Chiwas zu den regionalen und internationalen Märkten erheblich. Insbesondere die Handelsverbindungen nach Buchara, ins safawidische und später kadscharische Persien sowie ins Zarenreich Russland erfuhren eine neue Dynamik. Der rapide gestiegene Warenumschlag und die zunehmende Zahl durchreisender Händler machten es erforderlich, die bestehende Infrastruktur deutlich zu erweitern.
Ein Bauvorhaben mit Signalwirkung: Durchbruch durch die Stadtmauer
In den Jahren 1832 bis 1833 ließ Allakulikhan eine neue, monumentale Karawanserei errichten, deren räumliche Dimensionen die Kapazitäten der Ichan Qal’a sprengten. Der Bau erforderte einen historischen Eingriff: Die Stadtmauer wurde im Bereich nahe des Tash-Hauli-Palastes durchbrochen, um Platz für das neue Bauwerk zu schaffen – ein höchst ungewöhnlicher Schritt in der Geschichte islamischer Stadtarchitektur. Dieser bewusste Eingriff in die Befestigungsstruktur unterstreicht den politischen Willen, wirtschaftliche Entwicklung über defensive Rücksichtnahmen zu stellen. Der ökonomischen Expansion wurde symbolisch wie praktisch Raum gegeben.
Architektur und Funktion: Medrese-Typus als Handelsmodul
Die Karawanserei Allakulikhan folgt im Grundriss dem Typus einer Medrese, wobei Funktion und Gestaltung vollständig an die Bedürfnisse des transregionalen Handels angepasst wurden. Die rechteckige Gesamtform erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung und umfasst 105 sogenannte Hudschras – kleine Zellenräume, die jeweils einer bestimmten Nutzung zugeordnet waren. Im Erdgeschoss dominierten Lager- und Verkaufsräume; das obere Stockwerk beherbergte einfache, aber zweckmäßige Wohnquartiere für durchreisende Händler. Diese zweigeschossige Struktur ermöglichte eine klare Trennung von Warenumschlag und privater Nutzung, was logistische Abläufe wesentlich erleichterte.
Zentraler Bestandteil des Komplexes ist ein geräumiger, rechteckiger Innenhof, um den sich in streng symmetrischer Anordnung die Hudschras gruppieren. Die gesamte Anlage ist über einen mittigen, durchgehenden Gang erschlossen, der vom Haupteingang direkt in den Innenhof führt. Diese Organisation folgt nicht nur funktionalen Erfordernissen, sondern erzeugt auch eine eindrucksvolle räumliche Ordnung und eine architektonische Würde, die über die reine Zweckarchitektur hinausgeht.
Die Karawanserei misst 69 mal 58 Meter – ein Maß, das ihre imposante Erscheinung innerhalb des dichten Stadtgefüges der Ichan Qal’a unterstreicht.
Der überdachte Basar: Kuppelarchitektur und Marktorganisation
Unmittelbar an die südliche Hauptfassade der Karawanserei schließt sich ein architektonisch bemerkenswerter überdachter Basar an, der als funktionale Erweiterung des Handelskomplexes diente. Dieser Marktbereich ist durch eine rhythmische Gliederung von insgesamt sechzehn Kuppelräumen gekennzeichnet: Zwei monumentale Hauptkuppeln wechseln sich ab mit vierzehn kleineren Einheiten, alle ruhen auf kräftigen Ziegelpfeilern. Die Kuppelflächen sind durch bogenförmige Durchgänge miteinander verbunden, die in streng symmetrischer Folge angeordnet sind. Dadurch entsteht ein gleichmäßiger, fast sakral wirkender Raumrhythmus, der dem geschäftigen Marktgeschehen eine formale Struktur verleiht.
Die Maße des Basars – 46,3 mal 42,4 Meter – spiegeln die Bedeutung dieses Ortes als zentrales Forum für den Warenaustausch. Zwei monumentale Portale an der Ost- und Westseite ermöglichen eine effiziente Durchwegung und verknüpfen den Basar mit den wichtigsten Verkehrsachsen der Altstadt. Der zentrale Bereich des Basars wurde insbesondere für den Verkauf von Seide, Baumwolle, Gewürzen, Keramiken und Metallwaren genutzt.
Der Saray: Ein Karawanserei-Kern im engeren Sinne
Ein drittes Tor, das im nördlichen Bereich des überdachten Basars liegt, führt zu einem angrenzenden Gebäudekomplex, der als Saray bezeichnet wird. Dieser bildet mit der Hauptkarawanserei eine funktionale und architektonische Einheit, besitzt aber eine eigene Struktur. Der Saray umschließt einen weitläufigen, rechteckigen Innenhof, der ebenfalls von einer Mauer aus gebrannten Ziegeln eingefasst ist. Entlang der Mauer verlaufen 105 weitere Hudschras, die sich in Funktion und Größe an denen der Hauptkarawanserei orientieren.
Dieser Saray wurde bevorzugt von durchreisenden Seidenhändlern genutzt, die hier nicht nur ihre Waren lagerten, sondern auch übernachteten und logistische Absprachen trafen. Das Ensemble diente damit als wichtiger Umschlagplatz im internationalen Seidenhandel und bezeugt die zentrale Rolle Chiwas innerhalb der Handelsnetzwerke der Großen Seidenstraße im 19. Jahrhundert.
Wirtschaft trifft Religion: Die Waqf-Stiftung und die Bibliothek
Besondere Bedeutung kam den sogenannten Tor-Hudschras zu, die sich unmittelbar an den Haupteingängen der Karawanserei befanden. In diesen waren die Zollstellen untergebracht, in denen Handelsabgaben erhoben und registriert wurden – insbesondere auf wertvolle Handelsgüter wie Rohseide und Edelmetalle. Die Einnahmen aus diesen Zöllen bildeten eine wichtige Einnahmequelle für die städtische Verwaltung und unterstreichen Chiwas wirtschaftliches Gewicht in der Region.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der gesamte Komplex – einschließlich Karawanserei, Basar und Schuppen – als Waqf (religiöse Stiftung) geführt wurde. Der Stifter, Khan Allakuli, verfügte testamentarisch, dass die Erträge aus Mieten, Lagergebühren und Zolleinnahmen der städtischen Bibliothek zugeführt werden sollten. Das Ziel dieser Stiftung war es, den Erwerb von Manuskripten, den Unterhalt des Bibliotheksgebäudes sowie die Gehälter der Bibliothekare dauerhaft zu sichern. Ein originales Waqf-Dokument aus jener Zeit ist im Historischen Museum von Chiwa ausgestellt und gewährt einen authentischen Einblick in die geistige Dimension dieses wirtschaftlichen Zentrums.
Durch diese Zweckbindung verband sich der kommerzielle Alltag der Händler mit dem geistig-religiösen Leben der Stadt – ein Konzept, das in der islamischen Stadtgeschichte immer wieder begegnet, hier jedoch in besonders ausgereifter Form umgesetzt wurde.
Symbolkraft und historische Bedeutung
Die Karawanserei Allakulikhan mit ihrem angeschlossenen Basar und Saray verkörpert in einzigartiger Weise die Symbiose von Wirtschaft, Architektur und Kulturpolitik im spätmittelalterlichen Zentralasien. Sie steht für eine Phase der wirtschaftlichen Konsolidierung und Expansion, für kluge städtebauliche Planung und für eine tiefe Verwurzelung des Handels im geistig-religiösen Selbstverständnis des Chiwa-Khanats.
Gleichzeitig zeigt sie die Fähigkeit der lokalen Architektur, sich funktional zu wandeln, ohne ihre ästhetische Qualität zu verlieren. Die Kombination von Medrese-Elementen, Kuppelbauten, symmetrischen Hofanlagen und monumentalen Portalen ist ein eindrucksvolles Beispiel für die schöpferische Adaption islamischer Bautraditionen an die Anforderungen des Handels.
Bis heute ist dieser Komplex eines der herausragenden Bauwerke Chiwas – nicht nur als architektonisches Denkmal, sondern auch als lebendiges Symbol für die einstige Rolle der Stadt als Drehscheibe des internationalen Warenaustauschs entlang der Großen Seidenstraße.